MEDIZIN I Onkologie

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Telemedizinischer Support

in der Onkologie

Im Gespräch mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Alexander Gaiger, Programmdirektor für E-Health, Telemedizin und Komple- xitätsforschung, MedUni Wien

?Onkologie und Digitalisierung – wo sind hier Überschneidungen?

Bei der Behandlung von Krebspatienten sind eine hohe fachliche Expertise, eine Versor- gung nach dem aktuellen medizinischen Wissensstand, der interdisziplinäre Austausch und ein vertrauensvolles Behandlungsumfeld von zentraler Bedeutung. Telemedizinische Strukturen werden wichtige Bestandteile der onkologischen Versorgung, beispielsweise in den Bereichen der Tumorkonferenzen, Nebenwirkungsmanagement, Supportive Care, Re- habilitation, der Radiologie und der Pathologie. Bedingt durch die gesellschaftliche und gesundheitspolitische Entwicklung ist ein weiterer Ausbau der Telemedizin wünschenswert und erforderlich.


?Wo haben Sie in Ihrem medizinischen Alltag Berührungspunkte mit Themen der Di- gitalisierung?

Wir setzen telemedizinische Anwendungen seit über sechs Jahren bei klinischen Studien am Comprehensive Cancer Center ein und sind Teil eines internationalen Konsortiums. Die Erfahrungen basieren auf einem weltweit führenden telemedizinischen Sup- portsystem in der Onkologie (ESMART), das mittlerweile auch für andere chronische Erkrankungen wie COPD, Demenz oder kar- diovaskuläre Erkrankungen im Einsatz ist (DOC@HOME). Es wurde gemeinsam mit Patienten, Angehörigen, Pflegenden und Ärz- ten entwickelt. In England, Schottland und Wales ist das System in der klinischen Routine mit über einer Million Patientenakten er- probt. Das System ist evidenzbasiert, konform mit der Datenschutz-Grundverordnung und europaweit als Medizinprodukt der Klasse 1 und 2 CE-zertifiziert.


?Welche Vorteile hat das digitale Supportsystem ES- MART?

Es entlastet Patienten und Angehörige und medizinisches Personal, indem elektronische Krankengeschichten au- tomatisch generiert werden. Die Daten können in ELGA in- tegriert werden, wodurch eine DSGVO-konforme Schnittstelle zwischen Telemedizin und Krankenhaus-Infor- mationssystem (KIS) ohne zusätzlichen Aufwand sichergestellt wird. Es erfolgen den medizinischen Richtlin- ien konforme automatische Erhebungen von häufigen Nebenwirkungen der Behandlung sowie möglichen Komp- likationen, die grafisch dargestellt werden, darauf auf- bauend erfolgt eine evidenzbasierte Teletriage und je nach Symptomlast Beratung durch eine „Cancer Nurse“ und/oder Anleitung zur Selbsthilfe. Im Bedarfsfall kann ein Patient innerhalb von 15 Minuten von einem Arzt kontaktiert werden. Das führt zur Entlastung der Spitalsärzte, einer Kostenreduktion und der Reduktion der Nebenwirkungen. Es entlastet auch Patienten und Angehörige, weil sie 24/7

unterstützt werden. Daher ist auch die Akzeptanz extrem hoch. Das Supportsystem ersetzt nicht die Arzt-Patienten-Beziehung, sondern unterstützt sie.


?Ist mit einer Ausrollung in absehbarer Zeit auch in Österreich zu rechnen?

Ein Antrag auf den Einsatz in der Palliativmedizin ist gestellt. Ein Pilotprojekt wird an der Abteilung für Hämatologie der Medizin Universität Wien im 2. Quartal 2020 gestartet. Das System ist für das Management chronischer Erkrankungen nach höchsten wis- senschaftlichen Kriterien (prospektiven randomisierten Studien) etabliert, sicher, akzeptiert und lässt sich rasch in den Routineein- satz integrieren und genau das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Für die Akutversorgung sind die Spitäler bestens gerüstet, aber für chronische Erkrankungen fehlen uns die Kapazitäten.


?Sie sind Mitglied im Advisory Board des Austrian Health Forum 2020. Was ist Ihre Motivation, sich hier zu engagieren?

Unsere Forschung ist evidenzbasiert und wir benötigen jetzt dringend die Umsetzung in der täglichen Routine. Wir müssen uns vernetzen und die hochkarätigen Teilnehmer am Austrian Health Forum können uns dabei unterstützen.


?Welche Schritte sind nun nötig?

Wir haben in Österreich ausgezeichnete Voraussetzungen, ein weltweit führendes Programm umzusetzen, der Wille der einzelnen Akteure ist da. Es braucht ein Telemedizingesetz und die Definition von Abrechnungscodes. Geben wird es diese Entwicklung auf jeden Fall, die Frage ist nur, welche Rolle Österreich dabei spielt. Wenn wir hier nichts anbieten, dann werden die Patienten dor- thin gehen, wo sie die Leistung bekommen, also auch ins Ausland. Und dort bezahlen sie dann zum Beispiel mit ihren Daten. Wir wollen, dass der Mehrwert im Land bleibt, also in den Gemeinden die bestehenden Strukturen erhalten werden und telemedi- zinisch unterstützte Primärversorgungseinheiten entstehen.

•Wir wollen Ärzte und Pflegefachkräfte von Bürokratie und Routinetätigkeiten entlasten damit mehr Zeit für Begegnung bleibt.

•Wir wollen Patienten und Angehörige entlasten und unterstützen, damit nicht jede banale Frage im Spital, nach langer Fahrt und Wartezeit in einem 2-Minutengespräch geklärt werden muss.

•Wir wollen Menschen bei ihrem Weg vom Überleben zurück ins Leben unterstützen.


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