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Wie ein Überblick über die Indikationslisten für verschiedene Heilwässer und Peloide zeigt, finden sich die Erkrankungen des Bewegungsappara- tes praktisch in allen diesen Listen. Das provoziert die Frage, ob es denn gleichgültig ist, welches Heilwasser oder Peloid bei dieser oder jener Art von Erkrankungen des Bewegungsapparates Anwendung findet, oder ob es so etwas wie eine „Differentialbalneotherapie“ im Hinblick auf die Art der Erkrankung des Bewegungsapparates und dem Heilmittel gibt, von dem die jeweils beste Wirkung zu erwarten ist. Eine einfache Antwort auf diese Frage im Sinne einer Rezeptur ist allerdings nicht möglich. In diesem Zusammenhang kann auf eine Aussage von Gunther Hildebrandt ver- wiesen werden, wonach Balneotherapie keine verwässerte Pharmakotherapie ist. Dazu kommt, dass die Anwendung natürlicher Heilmittel in der Praxis so gut wie nie isoliert erfolgt, sondern als Teil eines komplexen therapeutischen Programmes.
Jeder Krankheit ihr Heilwasser?
Die Übernahme von Grundlagen, wie sie für die pharmakologische Differentialtherapie gilt, ist daher für die Balneotherapie nicht möglich. Pharma- kotherapie bezieht sich zu einem erheblichen Anteil auf die perorale Zufuhr einer definierten chemischen Verbindung. Die Voraussetzung einer de- finierten chemischen Verbindung als Grundlage der erwünschten therapeutischen Wirkung trifft allerdings auch auf die wirkungsbestimmenden chemischen Verbindungen der Heilwässer zu, die typische Form der Anwendung eines Heilwassers oder eines Peloids im Rahmen einer Kurbe- handlung ist jedoch bekanntlich das Bad und somit eine Art der Therapie, die im Rahmen der klinischen Behandlung von Erkrankungen des Bewe- gungsapparates, die hauptsächlich auf der Einnahme von Pharmaka beruht, keine Rolle spielt.
Ein weiteres Problem ist, dass es sich bei den rheumatischen Erkrankungen um große Gruppen unterschiedlicher Erkrankungen handelt, die sich im Hinblick auf die Ursache, das klinische Erscheinungsbild oder den Verlauf unterscheiden. Es muss klar festgehalten werden, dass es die vor- handene Datenlage nicht erlaubt, jedem einzelnen Krankheitsbild des rheumatischen Formenkreises ein spezielles Heilwasser oder Peloid als opti- males therapeutisches Medium zuzuweisen. Eine Möglichkeit besteht allerdings darin, einzelnen Gruppen von Erkrankungen aus dem rheumati- schen Formenkreis bestimmte natürliche Heilwässer oder Peloide zuzuordnen, wobei eine solche Zuordnung auf der Basis von Wirkungsmechanis- men und Wirkungsstärken dieser Medien erfolgen kann. Im Zusammenhang mit der großen Zahl von unterschiedlichen Erkrankungen, die im wei- testen Sinn dem rheumatischen Formenkreis zugeordnet werden können, erscheint es anhand der Datenlage eigentlich vorerst nur sinnvoll, zwi- schen degenerativen- nicht entzündlichen Rheumaformen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen zu unterscheiden.
Klassifizierung von Heilwässern
Im Hinblick auf die Reizwirkung von natürlichen Heilmitteln können folgende Aussagen getroffen werden:
•Schwach mineralisierte Natriumchloridwässer gelten als die reizschwächsten Heilwässer.
•Etwas reizstärker sind Solen und Thermalsolen, gefolgt von den Akratothermalwässern.
•Radioaktive Wässer und Schwefelwässer gelten als die reizstärksten Heilwässer. Von den Peloidapplikationen, die mit höheren Temperaturen zur Anwendung kommen können, geht eine starke Reizwirkung aus, die auch zu Exazerbationen bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen führen können. Der zuweisende Arzt, aber auch der Kurarzt sollte diese Gegebenheiten auf der Basis der Diagnose und der aktuellen Krankheitsaktivität bei der Auswahl des Kurortes sowie des eingesetzten Kurmittels berücksichtigen.
Wirkmechanismen von natürlichen Heilmitteln
Die erwähnten Möglichkeiten zur Erstellung einer Differentialbalneotherapie bei rheumatischen Erkrankungen basieren auf den Wirkungsmechanis- men der chemischen und wertbestimmenden Inhaltsstoffe der natürlichen ortsgebundenen Heilmittel. Einen Überblick über die wesentlichsten die- se Wirkungsmechanismen bietet die nachfolgende Tabelle. In dieser Tabelle werden allerdings nur jene Wirkungen und Wirkmechanismen er- wähnt, die in einem Zusammenhang mit den Erkrankungen des Bewegungsapparates stehen. Die Aufzählung der angeführten Wirkmechanismen und Wirkungen erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit.
Schlussfolgerungen
Ergänzend zu den in der vorliegenden Tabelle enthaltenen Informatio- nen muss festgehalten werden, dass die einzelnen angeführten Heilmit- tel im Zusammenhang mit deren Einsatz bei Erkrankungen des Bewe- gungsapparates nicht unbedingt isoliert betrachtet werden können. Heilwässer können durchaus mehrere Heilfaktoren enthalten, wie zum Beispiel Radon und Kohlendioxid oder Jod und Schwefel. Ein spezielles Problem stellen in dieser Hinsicht etwa Heilwässer dar, die sowohl als kalte Wässer, aber auch als Thermalwässer zutage treten. Es existieren einige Hinweise dafür, dass natürliche Thermalwässer sich im Hinblick auf ihre Wirkungen von gleich temperierten Leitungswässern unterscheiden.
Die in der Tabelle aufgelisteten verschiedenen Wirkungen und Wir- kungsmechanismen sollen eine Hilfe bei der Auswahl eines für einen prospektiven Kurpatienten und dessen Kurindikation geeigneten, natür- lichen Heilmittels sein. Es muss jedoch noch einmal drauf hingewiesen werden, dass der Erfolg eines Kuraufenthaltes nicht allein von der Aus- wahl des natürlichen Kurmittels abhängt, weil Therapie im Kurort grund- sätzlich eine komplexe Therapie ist, deren Effekt sich aus der Kombina- tion von therapeutischen Maßnahmen unterschiedlicher Art über einen gewissen Zeitraum entwickelt und mit der Aktivierung der sogenannten Selbstheilungskräfte des Organismus verbunden ist. Bei der Auswahl einer individuell erfolgversprechenden komplexen balneomedizinischen Kur müssen daher mehrere Faktoren in Betracht gezogen werden. Dazu gehören unter anderem auch die im Kurbetrieb zusätzlich vorhandenen gesundheitsförderlichen Einrichtungen.
Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang aber auch ein Ge- spräch mit dem prospektiven Kurpatienten über dessen Vorstellungen. Kureffekte stehen in einem beträchtlichen Anteil mit einer intensiven Er- holung im Zusammenhang und dabei spielt nicht nur die Auswahl eines geeigneten und indikationsgerechten Heilvorkommens eine Rolle, son- dern eine größere Zahl an weiteren gesundheitsdienlichen Faktoren. Die ärztliche Empfehlung für eine optimale komplexe balneomedizinische Kur bedarf daher einer Beschäftigung mit dem Menschen, wie sie der Tradition einer in der konventionellen Medizin kaum mehr vorhandenen traditionellen Heilkunst entspricht.