Inhalt und Zielsetzung der Rehabilitation sind schon 1981 im Technical Report der Weltgesundheitsorganisation WHO wie folgt festgelegt worden: „Rehabilitation um- fasst den koordinierten Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen sowie Einflussnahmen auf das physische und soziale Umfeld zur Funktionsverbesserung zum Erreichen einer größtmöglichen Eigenaktivität zur weitestgehenden unabhängigen Partizipation in allen Lebensbereichen, damit der Betroffene in seiner Lebensgestaltung so frei wie möglich wird.“
Diese Definition stellt heute noch die Grundlage jeglicher Rehabilitationsmaßnahmen dar und ist besonders bei entzündlich-rheumatischen Krank- heitsbildern richtungsweisend, weil diese Erkrankungen unbehandelt in den meisten Fällen zu ausgeprägten Funktionsdefiziten führen können, die den Betroffenen durchaus die Partizipation am beruflichen und sozialen Leben erschweren bis unmöglich machen können. Die Folge ist dann die Notwendigkeit der dauernden Unterstützung bei Alltagsaktivitäten bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Aus diesem Grund sind das Anstreben der größtmöglichen Eigenaktivität und die möglichst selbstständige Teilhabe am alltäglichen Leben Kernthemen der rheumatologischen Rehabilitati- on. Besonders bemerkenswert an dieser Begriffserklärung ist aber auch der Verweis auf das multimodale Spektrum an Maßnahmen, das am bes- ten in Kombination zum angestrebten individuellen Erfolg führen kann.
Grundlagen der Rehabilitation
Das aktuell anerkannte Phasenmodell der Rehabilitation mit seinem mehrstufigen Aufbau mit bis zu vier möglichen aufeinander folgenden Teilpha- sen hat bei der rheumatologischen seinen Schwerpunkt in der Phase II. Die Phase I betrifft die Behandlung im Akutkrankenhaus und hat vor allem die Diagnostik, den Beginn der medikamentösen Einstellung und physikalische Behandlungen mit den Schwerpunkten Funktionstraining, erste Hilfsmittelversorgungen und Bewegungstherapie zum Inhalt. Die Therapien werden in der Phase II, den stationären und ambulanten Anschluss- heilverfahren fortgesetzt und erweitert. In der Phase III werden ambulante Rehabilitationsmaßnahmen zur Festigung der Therapieerfolge der Pha- sen I und II vorgenommen. Die Phase IV schließlich ist die langfristige Nachsorge durch Heimtherapie und individuelles Training. In dieser Phase sind Selbsthilfegruppen und Vereine zur Unterstützung von großer Bedeutung.
Rehabilitationsmaßnahmen sind in vielen medizinischen Fachgebieten, beispielsweise auch in der Kardiologie und in der Pulmologie, indiziert. Die häufigste Ursache für die Rehabilitation liegt aber nach wie vor im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. Von rund 154.500 Rehabilitati- onsaufenthalten im Jahr 2018 waren laut Statistik Austria die meisten, nämlich 55.748 diesem Formenkreis zuzurechnen. Degenerative muskulos- kelettale Erkrankungen wie die Osteoarthritis, bandscheibenbedingte Pathologien, Fehlbildungen oder Dysfunktionen der Stütz- und Bewegungs- organe oder posttraumatische oder postoperative Folgezustände nach Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates sind wichtige Gründe für Rehabilitationsverfahren. Entzündungs- und stoffwechselbedingte muskuloskelettale Krankheitsbilder sind die spezielle Domäne der rheumato- logischen Rehabilitation, die meist andere Zielsetzungen und Therapieschwerpunkte im Vergleich zur orthopädisch-traumatologischen Rehabilita- tion hat.
Entzündungshemmung durch physikalische Behandlungen
Die insgesamt sehr inhomogene Gruppe der Rheumapatienten hat naturgemäß unterschiedliche individuelle Therapieziele. Bei orthopädischen und traumatologischen Patienten stehen oft Therapieziele wie die Mobilitätsverbesserung, Schmerzreduktion oder die Therapie von peripheren Lähmungen im Vordergrund. Bei rheumatologischen Patienten, beispielsweise mit rheumatoider Arthritis, bestehen die Rehabilitationsziele meist vordergründig in der Funktionsverbesserung von Alltagsaktivitäten wie Körperpflege, An- und Ausziehen oder Haushaltstätigkeiten. Die Kombina- tion aus eingeschränkter Beweglichkeit, reduzierter Kraft, verminderter Ausdauer und herabgesetzter Koordination bewirkt, dass durchaus er- probte, jahrzehntelang durchgeführte Handgriffe den Betroffenen immer schwerer fallen und letztendlich nicht mehr selbständig durchgeführt werden können. Die Fragestellung der Schmerzlinderung ist oft nur ein Teil des Therapieziels und manchmal sogar von sekundärer Bedeutung. Eine weitere Zielsetzung kann die Entzündungshemmung durch physikalische Behandlungen sein, die unterstützend zur Medikation eingesetzt werden.
Da die Gelenksstruktur bei entzündlicher Genese in vielen Fällen hochgradig verändert sein kann, besteht beim Rheumapatienten in der Regel nicht die Erwartung einer Restitutio ad Integrum. In der Rheuma-Rehabilitationsmedizin ist die Zielsetzung in den meisten Fällen eine Restitutio ad Optimum, das bedeutet das Erreichen des sogenannten persönlichen Teilhabeziels. Dieses immer individuelle patientenbezogene Therapieziel wird in Absprache von Patient, Arzt und Therapeuten an die Ausgangslage, das Rehabilitationspotenzial und den Patientenwunsch möglichst rea- listisch angepasst. Hier zeigt die Erfahrung, dass unrealistisch optimistische Wunschziele aufgrund der Frustration bei Nicht-Erreichen die Thera- pietreue reduzieren und den Wunsch nach neuerlichen Rehabilitationsmaßnahmen schwinden lassen.
Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten
Die Rehabilitation des Stütz- und Bewegungsapparates umfasst, je nach Krankheitsstadium, individuellem Krankheitsverlauf und Begleiterkran- kungen, eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten. Ein Schwerpunkt ist bei rheumatologischen Patienten die Ergotherapie mit dem Funktions- training, dem Wiedererlernen von Alltagsaktivitäten, gegebenenfalls über Ausweichbewegungen und auch das Erarbeiten von Kompensations- strategien, sowie den Einsatz von speziell adaptierten Hilfsmitteln beispielsweise mit Griffverstärkungen, Sockenanziehern und speziellem Werk- zeug zur erleichterten Durchführung von Alltagsaktivitäten zuständig. Ebenso gehören das Herstellen von Schienen sowie das Adaptieren von Ar- beitsplätzen im Sinne der Ergonomie zum ergotherapeutischen Aufgabengebiet auch bei rheumatologischen Patienten.
Weitere wesentliche Behandlungen sind Bewegungstherapie, Hydrotherapie, Trainingstherapie, manualmedizinische Techniken, Elektrotherapie mit den Schwerpunkten Niederfrequenz- und Mittelfrequenztherapie, Ultraschall, Thermotherapie und verschiedenste Massagetechniken bis zur Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie bei Ödemen.
Eine der innovativsten Behandlungen des Stütz- und Bewegungsapparats der letzten Jahre, die Stoßwellentherapie, findet immer mehr ihren Ein- satz in der Arthrosebehandlung, sodass spezialisierte Rehabilitationszentren mittlerweile fokussierte Stoßwellenbehandlungen durchführen.
Im chronischen Erkrankungsstadium ist speziell auf die Balneotherapie, auf die Behandlung mit Heilwasser, hinzuweisen. Auch nach dem Einsatz von Schwefelbädern und Thermalbädern ohne spezifischen Wirkstoff konnte festgestellt werden, dass bei Arthrosen der großen Gelenke sowohl die Schmerzangaben in der VAS-Skala als auch die Funktionsscores bessere Ergebnisse zeigten im Gegensatz zur nichtbehandelten arthroti- schen Kontrollgruppe. Auch der Analgetikaverbrauch war in der Therapiegruppe geringer.
Aber auch Entspannungsverfahren, Biofeedback und Akupunktur sind in verschiedensten, auf die Symptomatik des Betroffenen abgestimmten Kombinationen Teile des multimodalen Therapiespektrums.
Krankheitsstadium entscheidet über Therapie
Multimodalität im Sinne der physikalischen Medizin bedeutet, dass entsprechend der Beschwerdesymptomatik und der klinischen Untersu- chungsergebnisse ein individuelles, vielgestaltiges Behandlungskonzept vom Arzt in Absprache mit dem Patienten und den Therapeuten festge- legt und im Laufe der Therapie an den Therapiefortschritt angepasst wird.
Entscheidend, welche Therapiemodalitäten zum Einsatz kommen, ist unter anderem das Krankheitsstadium. Akut-entzündliche Erkrankungen wer- den neben der medikamentösen Therapie Behandlungen zugeführt, die reizarm sind. Schmerzfreie Lagerung, Bewegung im schmerzarmen Be- reich und Kryotherapie stehen im Vordergrund. Die Kältebehandlung wird in den meisten Fällen in Form von Kältepackungen lokal durchgeführt. Dem Therapieeffekt liegt der 2. Hauptsatz der Wärmelehre zugrunde, der besagt, dass bei direktem Kontakt verschieden temperierter fester Kör- per die Wärmeenergie von selbst nur von einem Körper höherer Temperatur auf einen Körper tieferer Temperatur übergeht. Bei unmittelbarem Kontakt kommt es zur Wärmeleitung. Daraus folgend entzieht die Kältepackung der überwärmten Gelenksstruktur Wärme.
Weitere neuere, innovative Verfahren wie die Kältekammertherapie finden als antiphlogistische und analgetische Therapie immer häufiger als Zu- satzangebot ihren Einsatz in der rheumatologischen Rehabilitation. Patienten halten sich in Mehrkammersystemen bei einer Temperatur von bis zu 170 Minusgraden bis zu fünf Minuten auf, zuerst zur Akklimatisierung in einer Vorkammer bei -70° Celsius bis zu 30 Sekunden. Studien bestätigen beispielsweise bei Patienten mit rheumatoider Arthritis nach mehrmaligem Aufenthalt in der Kältekammer eine Reduktion der Morgensteifigkeit, der Gelenksschwellung, der CRP-Aktivität, aber auch des NSAR-Verbrauchs und des Cortisonverbrauchs. Bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis wurde in Studien vor allem die Schmerzreduktion nachgewiesen.
Bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Krankheitsbildern finden vor allem reizintensivere Behandlungsmodalitäten ihre Anwendung. Als Schmerztherapien werden Elektrotherapie und Thermotherapie im Sinne von Wärmeanwendungen eingesetzt.
Stellenwert von evidenzbasierter Medizin
Die Zusammenstellung dieser multimodalen Therapie erfolgt auch, soweit verfügbar, nach den Gesichtspunkten der evidenzbasierten Medizin EBM, wobei in der Rehabilitationsmedizin wie allgemein in der physikalischen Medizin nicht nur die externe Evidenz als ultimativer Wirkungsnach- weis gelten kann. Dies ist deshalb nicht möglich, weil konservative Behandlungen meist vom Therapeuten direkt mit dem oder am Patienten ange- wendet werden. Es sind daher Randomisierungen auf höchstem externem Evidenzlevel, Level 1A, mit doppelter Verblindung in den meisten Fäl- len nicht durchführbar. In der Literatur finden sich, ausschließlich auf rheumatologische Fragestellungen bezogen, vor allem Arbeiten, die teilweise divergierende multimodale Therapieprogramme bei unterschiedlichen rheumatologischen Diagnosen in verschiedenen Krankheitsstadien mit ein- ander vergleichen, sodass zusammenfassend die dargestellten Ergebnisse leider kein aussagekräftiges Bild ergeben. Die vorliegenden Reviews der Cochrane-Datenbank ergeben im Wesentlichen auch kein schlüssiges Bild einer externen Evidenz.
Aus diesem Grund muss auch der internen Evidenz und der Patientenerwartung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die interne Evidenz und die Patientenerfahrungen zeigen jedoch, dass richtig durchgeführte konservative Therapieverfahren die Beschwerdesymptomatik der Patien- ten reduzieren kann. Dies zeigt sich auch daran, dass sich in den meisten Fällen die Funktionsscores am Ende von Rehabilitationsmaßnahmen deutlich verbessern und die Rheumapatienten nach der Rehabilitation besser im Alltag zurechtkommen. Damit entspricht das verordnete Thera- pieprogramm in der Regel der Grundidee der evidenzbasierten Medizin nach Sackett, die die optimale Patientenversorgung in der Schnittmenge aus externer und interner Evidenz und den Bedürfnissen der betroffenen Patienten propagiert.