Im Gehen und Stehen sind diese vier (manchmal auch drei oder fünf) Wirbelköper-Knochensegmente eher unbeweglich, im Sitzen zeigt das Steiß- bein eine Beweglichkeit bis zu 20° nach vorne und hinten. Dies ist aufgrund der intercoccygealen Gelenke möglich und dient auch dem Tragen des Körpergewichts beim Sitzen. Vor allem bei übergewichtigen Patienten tendiert das Os coccygis dazu, inadäquat nach hinten zu rotieren mit dem Problem eines erhöhten, intrapelvinen Drucks auf das Os coccygis, sodass eine (Sub-) Luxation das Resultat sein kann. Das Coccygis ist durch fasziale Bänder und Sehnen und durch die Muskulatur des Beckenbodens stabilisiert. Auch diese Strukturen können an der Schmerzent- wicklung ursächlich beteiligt sein (Triggerpunkte, Tendopathien, etc.) und auch eine Entzündung des Periosts kann zu ausstrahlenden, attackenför- migen Nervenschmerzen durch die Mitbeteiligung des örtlichen Nervenplexus am unteren Kreuz- und Steißbein führen. Diese Schmerzen strahlen oft in den Anusbereich, nach ventral ins kleine Becken sowie lumbal und in die Hüftregion aus und sind Zeichen einer funktionellen Überlastung (idiopathische Coccygodynie). Die häufigere Diagnose ist jedoch eine traumatische Coccygodynie nach entsprechenden Verletzungen, wie z. B. Prellungen, Sturz, Beckenring- oder Geburtstraumata.
Frauen häufiger betroffen
Sowohl bei der idiopathischen als auch bei der traumatischen Coccygodynie lassen sich unter Umständen pathomorphologische Veränderungen wie Subluxationen oder Frakturen des Coccygis im Röntgen nachweisen, es besteht jedoch keine lineare Beziehung zwischen dem radiologischen Befund und der Schmerzempfindung.
Frauen sind fünfmal häufiger betroffen als Männer, wobei in den letzten Jahren auch zunehmend männliche Patienten (mit einem Proctalgia-fugax- oder Chronic-pelvic-pain-Beschwerdebild) vorgestellt werden. Die Ursache liegt zumeist in muskelfaszialen Verspannungen oder Verklebungen, die auch z. B. durch rezidivierende Minimaltraumata zu diesem Beschwerdebild führen. Treppensteigen, Defäkation sowie langes Sitzen sind un- möglich. Erst gezielte, anamnestische Fragen erlauben, nach dieser Latenzzeit doch eine traumatische Ursache zu verifizieren.
Eine idiopathische Coccygodynie ist letztendlich eine Ausschlussdiagnose. Wesentlich ist, dass anorektale, gynäkologisch-urologische, koloprok- tologische, orthopädische oder neurologische Erkrankungen vorab ausgeschlossen wurden, da diese ähnliche Beschwerden verursachen können. Ebenso können rheumatologische Erkrankungen, wie z. B. Morbus Bechterew, eine sehr schmerzhafte Coccygodynie auslösen.
Durch die Vielgestaltigkeit der Ursachen ist die Durchführung einer bimanuellen Untersuchung des Steißbeins, des umgebenden Bandapparates sowie der Muskulatur des kleinen Beckens mit der Suche nach auslösenden (Trigger-)Punkten der Grundpfeiler der Diagnosefindung. Hilfreich kann auch die differenzialdiagnostisch durchzuführende Lokalanästhesie ins sacrococcygeale Gelenk wie gegebenenfalls eine Nervus-pudendus- Blockade sein, bevor die Diagnose gestellt wird. Neben der bimanuellen Untersuchung wird meistens ein Steißbeinröntgen in zwei Ebenen oder ein MRT durchgeführt. Eine idiopathische Coccygodynie, die meist eine funktionelle Ursache hat, kann aufgrund der statischen Untersuchungsbe- dingungen hierbei jedoch selten verifiziert werden.
Behandlungsoptionen
Als Therapie der Wahl stehen Medikamente (NSAR) wie auch ein breites physikalisch-therapeutisches Spektrum zur Verfügung. Da es auch Hin- weise auf eine verdeckte Depression als schmerzauslösende Ursache gibt, empfiehlt sich in diesen Fällen eine entsprechende psychotherapeuti- sche Evaluation wie auch die Gabe von Antidepressiva. Die operative Os-coccygis-Entfernung (Coccygektomie) ist als Last-option-Behandlung zu verstehen, davor empfehlenswert ist noch der Versuch der Denervierung unter Bildwandlerkontrolle bei Verdacht auf eine chronische Spinalnervenreizung.
Der physikalischen Medizin stehen neben Bädern, der Empfehlung von druckentlastenden Sitzgelegenheiten und dem Wechsel zwischen sitzen- der und stehender Tätigkeit auch manualtherapeutische Behandlungen, Faszientechniken sowie heilgymnastische (Dehn-) Übungen und ein mus- kulär-posturales Training als Therapieoptionen zur Verfügung. Ebenso können verschiedene Massageformen (z. B. Faszientechniken, Rektalmas- sage) und Elektrotherapie intravaginal/intraanal als Zusatztherapien angeboten werden.
Biofeedback zur Evaluation der Beckenbodenmuskelspannung empfiehlt sich bei beiden Formen der Coccygodynie und hilft den Patienten, Ver- spannungen der Beckenbodenmuskulatur durch die Sichtbarmachung besser wahrzunehmen. Der Therapeut kann mithilfe des Biofeedbacks den Zusammenhang zwischen muskulärer Spannung vom Beckenboden mit der Rumpfmuskulatur und der Atmung in Echtzeit darstellen. Damit kön- nen schmerzauslösende Ursachen, die in der Alltagssituation auftreten, nachgestellt und behoben werden. Auf dieser Basis können heilgymnasti- sche Therapien besonders effizient und effektiv erarbeitet werden. Dieses posturale Training ist bei idiopathischen Coccygodynien, bei den vor al- lem Patientinnen über Schmerzen während oder nach dem Koitus klagen, hilfreich. In diesem Fall liegt ja aufgrund eines Beckenbodenmuskel- spasmus (M. levator) eine muskuläre Dysbalance im kleinen Becken mit vermehrten Triggerpunkten in den das Os coccygis stabilisierenden Bän- dern vor. Vor allem der Levator-Zug führt zu einer Traktion auf den M. coccygeus und damit zu einer Verschiebung des Os coccygis mit Belastung des sacrococcygealen Gelenkes, was letztendlich zu Arthrosen und damit zur Unterhaltung eines chronischen Schmerzzyklus beiträgt.
Ein großer Fortschritt in der Behandlung von Schmerzsyndromen im kleinen Becken, so auch bei Coccygodynien, stellt die Applikation von Radio- frequenz (INDIBA) dar. Der geschulte Arzt wie auch Therapeut kann diese Methode in Kombination mit heilgymnastischen Übungen zur Schmerz- reduktion, Entspannung sowie Durchblutungsförderung und Ödemreduktion (z. B. bei Periost-Schmerzen) erfolgreich anbieten.
Zur Vermeidung der Chronifizierung, die mit Schmerzen oft wochen- bis monatelang verbunden ist, empfiehlt sich somit das frühzeitige Aufsuchen eines Facharztes, wie z. B. eines Facharztes für Physikalische Medizin, der in entsprechenden manuellen Techniken zur Abklärung geschult ist.