Suizidbegleitung in Österreich: Was Ärzte wissen müssen

Ein aktueller prominenter Fall hat die Debatte um die Suizidbegleitung in Österreich wieder in den Mittelpunkt gerückt.

 

AUTOR:
Dr. Michael Straub, LL.M.

 

Rechtsanwalt im Gesundheitswesen mit Schwerpunkt
Medizin-, Krankenanstalten- und Gesellschaftsrecht,
straub@enlawment.at,
www.enlawment.at

Dabei gilt die derzeitige Rechtslage bereits seit 2022: Mit dem Inkrafttreten des Sterbeverfügungsgesetzes (StVfG) wurde das zuvor ausnahmslose Verbot der Mitwirkung an der Selbsttötung aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte 2020 entschieden, dass das absolute Verbot gegen das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung verstoße. In der Folge wurde § 78 StGB („Mitwirkung am Selbstmord“) novelliert und das Sterbeverfügungsgesetz geschaffen. Seither ist die assistierte Selbsttötung unter engen Voraussetzungen erlaubt – aber nur dann, wenn sämtliche gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Für Ärzte bedeutet das: Sie stehen rechtlich, ethisch und menschlich an einer besonders sensiblen Schnittstelle zwischen Selbstbestimmungsrecht, medizinischer Verantwortung und Gewissensfreiheit.

Gesetzliche Grundlage und Zielsetzung

Das Sterbeverfügungsgesetz regelt nicht den gesamten Ablauf der Suizidbegleitung, sondern im Kern die Errichtung einer Sterbeverfügung. Diese fungiert als rechtliche Voraussetzung, damit eine Person ein letales Präparat in der Apotheke beziehen darf. Für Ärzte ergeben sich daraus zahlreiche Anknüpfungspunkte der Mitwirkung, die sowohl medizinische als auch rechtliche Pflichten umfassen – von der Feststellung der Entscheidungsfähigkeit bis hin zur Dokumentation und zur ethischen Reflexion des eigenen Handelns.

1. Ärztliche Mitwirkung – der Ablauf in der Praxis

Der Prozess beginnt mit zwei unabhängigen ärztlichen Gesprächen. In diesen wird geprüft, ob die betroffene Person entscheidungsfähig ist, ihre Entscheidung frei trifft und ob eine unheilbare oder schwere Erkrankung vorliegt. Einer der Ärzte muss über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen. Nach diesen Gesprächen folgt eine Reflexionsfrist: zwölf Wochen grundsätzlich, zwei Wochen, wenn eine unheilbare, zum Tod führende Krankheit in der terminalen Phase vorliegt. Erst danach kann die sterbewillige Person eine Sterbeverfügung errichten – bei einem Notar oder einer Patientenvertretung. Diese ermöglicht den Bezug eines Präparats, das die Person eigenhändig einnimmt. Eine Fremdverabreichung ist strikt verboten.

2. Entscheidungsfähigkeit und Freiwilligkeit

Die Entscheidungsfähigkeit ist das zentrale Kriterium. Ärzte müssen zweifelsfrei feststellen, dass die Person geistig in der Lage ist, die Tragweite der Entscheidung zu verstehen und ihren Willen frei zu bilden. Das bedeutet: keine akute psychische Erkrankung, keine Beeinflussung durch Dritte, keine situative Verzweiflung, die den klaren Willen infrage stellt. Bestehen Zweifel, ist ein psychiatrisches Gutachten verpflichtend einzuholen. Diese Prüfung ist nicht bloß Formalität, sondern wesentlicher Schutzmechanismus – für die betroffene Person ebenso wie für die beteiligten Ärzte.

3. Medizinische Voraussetzungen

Eine Sterbeverfügung kann nur errichten, wer an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Erkrankung leidet, die mit anhaltenden Symptomen und erheblichem Leidensdruck einhergeht. Das Gesetz folgt dabei einem subjektiven Leidensbegriff: Entscheidend ist, ob die betroffene Person ihr Leiden als unerträglich empfindet. Ärzte haben diesen Leidenszustand nicht objektiv zu bewerten, sondern müssen lediglich die Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Angaben prüfen. Gleichzeitig ist im Rahmen der Aufklärung sicherzustellen, dass die betroffene Person über alle therapeutischen und palliativmedizinischen Optionen informiert ist. Eine Suizidbegleitung darf nie eine Folge unzureichender medizinischer Versorgung oder fehlender psychosozialer Betreuung sein.

4. Ärztliche Aufklärungspflichten

Das Gesetz schreibt eine umfassende ärztliche Aufklärung vor, die mindestens folgende Punkte umfasst:

• Therapeutische und palliativmedizinische Alternativen, einschließlich Hospizversorgung, Schmerztherapie und psychosozialer Betreuung.

• Hinweise auf Vorsorgedokumente wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Vorsorgedialog.

• Aufklärung über Dosierung, Einnahme und mögliche Komplikationen des Präparats.

• Information über die Möglichkeit, lebensrettende Maßnahmen abzulehnen.

• Hinweise auf psychotherapeutische und suizidpräventive Beratungsangebote.

Die beiden Ärzte können sich die Aufklärungsinhalte entsprechend ihrer Fachrichtungen aufteilen. Wichtig ist, dass die Aufklärung nachvollziehbar dokumentiert und von der sterbewilligen Person verstanden wurde.

5. Dokumentationspflicht

Die Gespräche und Ergebnisse sind schriftlich zu dokumentieren – entweder in getrennten oder gemeinsamen Urkunden. Diese müssen enthalten: Datum der Gespräche, Feststellung der Entscheidungsfähigkeit und Freiwilligkeit, Bestätigung der Erkrankung, Unterschriften beider Ärzte. Die Dokumente werden der sterbewilligen Person ausgehändigt und bilden die Grundlage für die spätere Sterbeverfügung. Eine unvollständige oder mangelhafte Dokumentation kann für Ärzte strafrechtliche und disziplinarrechtliche Folgen haben.

6. Begleitung beim Suizidakt

Das Sterbeverfügungsgesetz regelt den Vollzug des Suizids nicht im Detail, doch erlaubt es eine Hilfeleistung, solange die sterbewillige Person den Akt selbst vornimmt. Zulässige Handlungen sind etwa: das Bereitstellen eines Raumes, das Abholen des Präparats aus der Apotheke, das Legen eines venösen Zugangs. Verboten bleibt jede Form der aktiven Verabreichung – sie würde als Fremdtötung (§ 75 StGB) strafbar sein. Ärzte dürfen die Person begleiten, sofern sie nicht selbst an der ärztlichen Aufklärung beteiligt waren.

Fazit

Die Suizidbegleitung bleibt ein komplexes Feld an der Schnittstelle von Recht, Ethik und Medizin. Für Ärzte bedeutet sie eine erhebliche Verantwortung: Sie müssen zwischen Selbstbestimmung, Fürsorgepflicht und berufsethischen Grundsätzen abwägen. Das Sterbeverfügungsgesetz bietet einen rechtlichen Rahmen, aber keine Handlungsanweisung für den Einzelfall. Wer ärztlich mitwirken möchte, sollte sich rechtlich beraten lassen, die Dokumentationspflichten genau kennen und das Gespräch mit Kollegen aus Palliativmedizin, Psychiatrie und Ethik suchen.


FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/DOBLE-D
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