Medizin und Malerei
Dr. Franz Mayrhofer ist aus zweierlei Gründen ein bekanntes Gesicht: Er zeigt seit 28 Jahren Malerei, die Ästhetik und Intellekt verbindet, und leistete als Gründer des ersten Primärversorgungszentrums Österreichs Pionierarbeit.
Dr. Franz Mayrhofer ist gebürtiger Oberösterreicher, studierte Medizin in Wien und gründete 2015 mit Medizin Mariahilf das erste Primärversorgungszentrum (PVE) Österreichs. Gleichzeitig treibt ihn aber eine zweite Leidenschaft an: die Kunst. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit experimenteller und gegenstandsloser Malerei und kann auf zahlreiche Erfolge und Ausstellungen verweisen. Heute lebt und arbeitet er in Wien und Mondsee.
?Ist die Malerei für Sie Ausgleich zu Ihrer medizinischen Tätigkeit, oder konnten Sie sich einfach zwischen zwei Leidenschaften nicht entscheiden?
Ich habe mich seit meiner Jugend für Malerei interessiert und mit Begeisterung Bilder betrachtet. Diese Begeisterung hat sich auch während des Medizinstudiums erhalten. Als Mitbewohner in Künstlerwohngemeinschaften habe ich viel gelernt und begonnen, Bilder zu malen. Seit über 20 Jahren gestalte ich regelmäßig Einzelausstellungen und nehme an Gemeinschaftsausstellungen teil – als langjähriges Mitglied des Österreichischen Ärztekunstvereines in Wien, aber auch bei Ausstellungen in New York. Es war also nie die Frage Medizin oder Kunst. Während meiner Zeit als Hausarzt habe ich in der Praxis die Galerie Warteraum etabliert, in der drei- bis viermal jährlich Künstler eingeladen waren, Werke für drei Monate in der Ordination auszustellen. Die Tradition wird im PVE Medizin Mariahilf weitergeführt – derzeit mit einer Ausstellung des Fotografen Peter Hassmann.
?Sie sind Allgemeinmediziner, ein derzeit umworbenes Fach mit trüben Aussichten, was den Nachwuchs betrifft. Was würden Sie sich für die Allgemeinmedizin in Österreich wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Allgemeinmedizin endlich von den alten Narrativen löst – heroischer Einzelkämpfer reitet mit dem Einspänner durch Sturm und Schnee, um Sterbende dem Tod zu entreißen … – und ein neues Bild entwickelt, das den realen Anforderungen an eine qualitätsvolle Primärversorgung entspricht. Dies sollte sowohl die Ansprüche der Patienten als auch die Arbeitsbedingungen für die Gesundheitsberufe in der Primärversorgung betreffend der Fall sein. In diesem neuen Narrativ werden Ärzte ohne ständig überfordernde Erwartungen ihren Möglichkeiten und Neigungen entsprechend arbeiten können.
?Sie haben die Praxis Medizin Mariahilf gegründet und sind damit Pionier in der Primärversorgung. Was hat Sie damals dazu bewogen, diesen Schritt zu setzen?
Ich hatte das dringende Bedürfnis, mehr Behandlungsqualität für meine Patienten zu bieten und mehr Lebensqualität für mich zu organisieren.
?Außerdem sind Sie Mitglied der Grünen Ärztinnen und Ärzte. Was war und ist Ihre Motivation, sich politisch zu betätigen? Was möchten Sie verändern?
Ich wünsche mir, dass die Gesundheitsversorgung als grundsätzliches Menschenrecht allen Patienten, ohne Ansehen von Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand – siehe Erklärung der Menschrechte –, zur Verfügung steht. Damit das möglich wird, darf die Gesundheitsversorgung nicht den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft unterliegen. Das sicherzustellen ist eine politische Entscheidung – wie weit wir davon entfernt sind, zeigen leider die multiplen Krisen im Versorgungssystem.
?Wie finden Sie neben einem ausgefüllten Medizinerleben Zeit für Malerei? Wann und wo malen Sie?
Die Zeit war nie ein Problem, eher die unter Stress und Überlastung leidende Inspiration. Die Arbeiten entstehen ganz traditionell in meinem Atelier am Dach meines Wohnhauses.
?Was inspiriert Sie als Künstler? Ist es die Natur, Ihr Beruf, sind es Begegnungen?
Zu Anbeginn eine Geschichte. Wie in der Musik eine Melodie, im Denkprozess ein Einfall. Danach kommt ein strukturierter Prozess von Arbeit. Ich male nicht spontan, sondern sehr geplant: Erarbeiten eines inhaltlichen Konzeptes, Auswahl und gegebenenfalls Erlernen der Technik, Studium der Materialien, Untergrund, Farbmittel, Erarbeiten der erforderlichen Prozesse, oft auch Einholen von externer Expertise, viel „trial and error“, aber kein Abrücken von der Zielvorstellung und von Anfang an eine klare Deadline in Form eines Termins für die Vernissage – idealerweise rund zwei Jahre im Voraus.
?Welche Techniken verwenden Sie?
Sehr viele Arbeiten entstanden in klassischer Malerei mit Acryl auf Leinwand. Die letzten Projekte arbeitete ich in einer Hinterglastechnik. Die Wirkung der Farben ist phänomenal. Dazu verwende ich mein Lieblingsmaterial Blattgold, das ist immer faszinierend. Die Farben werden als Lackfarben aufgesprüht.
?Sie streben neben dem emotionalen „Gefallen“ ein intellektuelles „Verstehen“ Ihrer Bilder an. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Malerei erzählt Geschichten, oftmals bis zur Unkenntlichkeit kodierte Geschichten. Insbesondere nichtgegenständliche, abstrakte Malerei ruft oft „nur“ ein spontanes Gefühl des „Gefallens“ hervor, das aber in keine Geschichte eingebettet werden kann. Betrachtende wissen nicht, warum ihnen das Bild gefällt – oder auch nicht. Mit aufmerksamer Ratlosigkeit steht man dann vor dem Bild. Andererseits leiden sehr schnell und leicht erfassbare Bilder daran, dass sie umgehend in ein simples, oberflächliches, oft langweiliges inhaltliches Schema geraten. In beiden Fällen muss ein Bild die Sehgewohnheit ins Stolpern bringen, und der Betrachtende ruft den Intellekt zu Hilfe, um einen Sturz zu vermeiden. Ich arbeite sehr gerne mit Codes (https://mayrhofer.wien/ueber- brueckung/), die aber ihre Entschlüsselung sehr nahe und greifbar anbieten. Zur Decodierung der Bilder des Zyklus „QR Code“ war ein Smartphone erforderlich, das jeder in der Tasche hat.
?Was ist der Kern, das Herz Ihrer Ausstellung im September?
Der Kern der Ausstellung im September ist die Beschäftigung mit einer 2.000 Jahre alten, nach wie vor gültigen Metapher über Wagnis, Orientierung, List, Kontrollverlust, Schrecken und Öffnung – dem Labyrinth. Heiterer, und von den vielen Facetten des roten Fadens der Ariadne erzählend, sind die Wochenbilder, die uns durch das Jahr begleiten.
bw
FOTOS: FRANZ MAYRHOFER, MEDIZIN MARIAHILF