Weil es das Leben wert ist
Täglich sterben in Österreich mehr als drei Menschen durch Suizid. Das sind pro Jahr mehr als doppelt so viele Menschen wie Tote bei Verkehrsunfällen.
AUTOR: Prim. Dr. Jörg Auer
Vorstand der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Kepler Universitätsklinikum Linz, Mitglied des SUPRA-Expertengremiums,
www.kepleruniklinikum.at
Bereits 2012 richtete das Bundesministerium für Gesundheit die Koordinationsstelle für Suizidprävention an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ein und präsentierte das nationale Suizidpräventionsprogramm SUPRA (SuizidPRävention Austria). Der Auftrag besteht bis dato in der schrittweisen Umsetzung des Programms in enger Kooperation mit einem Expertengremium.
Pro Jahr sterben in Österreich rund 1.300 Menschen durch Suizid, das sind mehr, als es Tote bei Verkehrsunfällen gibt. Die anteilsmäßig meisten Suizide werden im mittleren Lebensalter begangen (Altersgruppe 45–64 Jahre: rd. 35 % der Suizide). Die bevölkerungsbezogene Suizidrate steigt jedoch mit dem Alter an: Betrachtet man die relative Häufigkeit, zeigen sich in den höchsten Altersgruppen die höchsten Suizidraten. Wien und Vorarlberg waren in den letzten fünf Jahren die Bundesländer mit den niedrigsten, Kärnten und die Steiermark jene mit den höchsten Suizidraten. Die häufigste Suizidmethode in Österreich ist das Sich-Erhängen (42 %), danach folgen der Gebrauch von Schusswaffen (18 %) und das Sich-Vergiften (13 %).
Lange Tradition
Das Fachgebiet Suizidprävention blickt in Österreich auf eine lange Tradition zurück: Erwin Ringel war im Jahr 1960 einer der Gründerväter der International Association for Suicide Prevention (IASP). Dennoch war das Feld in Österreich in puncto Zuständigkeiten und Ansätzen fragmentiert und stark vom persönlichen Engagement Einzelner getragen. Eine wesentliche Aufgabe der vor mehr als einem Jahrzehnt geschaffenen Koordinationsstelle ist Vernetzen aller, die bislang in Österreich im Feld Suizidprävention tätig sind. SUPRA genießt heute internationale Anerkennung und wurde im Jahr 2017 vom EU-Compass for Action on Mental Health and Well-being als das europäische Beispiel guter Praxis für Suizidprävention ausgewählt. 2017 manifestierte das Expertenteam eine Reihe von strategischen Zielen. Definiert als die „sechs SUPRA-Säulen“, sind die meisten davon in den vergangenen Jahren erfolgreich umgesetzt worden.
Säule 1: Koordination und Organisation
Die Suizidprävention ist auf Bundes- und Landesebene organisatorisch eingebettet und koordiniert worden. Auf Länderebene verfügen nun alle Bundesländer über eine in eine Organisations- bzw. Koordinationsstruktur eingebettete Suizidprävetion. Am 1. April 2022 startete SUPRA in Oberösterreich.
Säule 2: Unterstützung und Behandlung
Bei der bedarfsgerechten Unterstützung und Behandlung suizidgefährdeter Menschen und Risikogruppen kommt sogenannten Gatekeepern eine besondere Bedeutung zu. Diese Personen haben in ihrem beruflichen bzw. ehrenamtlichen Kontext potenziell mit suizidalen Menschen zu tun und werden suizidpräventiv geschult. Darüber hinaus soll eine ausreichende Anzahl psychosozialer Versorgungsbereiche für Notfall und Stabilisierung und auch Bewältigung und Prävention einfach und rasch erreichbar sein. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die sektorenübergreifende Koordination der Unterstützung bzw. Versorgung der Risikogruppen.
Säule 3: Restriktion der Suizidmittel
Es wird angestrebt, den Zugang zu (vermeintlich) sicheren Suizidmethoden zu erschweren. Diese Maßnahme fokussiert Einschränkungen im Zugang zu Waffen, zu ungesicherten Plattformen von Hochhäusern oder Brücken sowie sogenannten Bahn-Hotspots oder auch kleinere Packungsgrößen entsprechender verschreibungspflichtiger Medikamente.
Säule 4: Bewusstsein und Wissen
Die Themen psychische Gesundheit und Erkrankungen, die Bewältigung von Lebenskrisen in unterschiedlichen Lebenszyklen und Lebenslagen sollen angesprochen, in verschiedenen Medien ins Bewusstsein gehoben und breiteres Wissen dazu vermittelt werden. Besonders zu beachten ist eine Berichterstattung, die dazu beiträgt, Imitationssuizide („Werther-Effekt“) weitestgehend zu vermeiden. Die österreichischen Medien sind angehalten, mittels positiver Beispiele im Umgang mit Krisen, Suizidalität und Verlust die Suizidprävention aktiv zu unterstützen („Papageno-Effekt“).
Säule 5: Einbettung in Prävention und Gesundheitsförderung
Krisenbewältigung und Suizidprävention werden in Oberösterreich bereits in bestehenden Sucht- und Gewaltpräventionsprogrammen für Kinder und Jugendliche thematisiert und einschlägige Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten. Suizidprävention ist integrativer Teil der setting- und zielgruppenspezifischen Angebote der Gesundheitsförderung bzw. Prävention.
Säule 6: Qualitätssicherung und Expertise
Die Suizidprävention erfolgt qualitätsgesichert auf Basis wissenschaftlicher Expertise. Dafür wurde die Datenbasis der Suizidforschung aufgebaut bzw. erweitert. Suizidforschung wird strukturell, ideell und finanziell gefördert. Es wurden Qualitätsstandards für die Suizidprävention entwickelt. Auf der Basis von Fachtagungen, bundesweiter und internationaler Vernetzung oder in Qualitätszirkeln findet gezielte Qualitätssicherung statt.
Suizidalität – ein Symptom
Gehäuft findet man Suizidgedanken bei verschiedenen Formen der Depression, psychotischen Erkrankungen oder auch Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Auch bei schweren chronischen und unheilbaren körperlichen Erkrankungen, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens, der Teilnahme am sozialen Leben und mangelnder Beeinflussbarkeit einhergehen, oder auch in ausweglosen Situationen, vor allem, wenn sie mit starken Schuldgefühlen verbunden sind, können Suizidgedanken auftreten. Auch Personen mit Störungen im Bereich der Persönlichkeitsstruktur, die das eigene Leben als wertlos erscheinen lassen und mit einer verminderten Steuerungsfähigkeit von aggressiven Impulsen verbunden sind, sind gefährdet.
„Menschen in (suizidalen) Krisen leben oft in einer Parallelwelt. Ihre Erfahrungen lassen sie schmerzlich spüren, dass sie derzeit nicht Teil der ‚normalen‘ Welt sind. Sie erleben beispielsweise die überall artikulierte Freude über das Grün des Frühlings samt Frühlingsgefühlen als Teil einer Welt, die nicht die Ihre ist. Viele unsere Anruferinnen und Anrufer empfinden sich als außenstehend, als anders oder verrückt. Ihr Vertrauen in sich selbst und die Welt, ihr Lebensmut, ihre psychische und oft auch physische Energie haben enormen Schaden genommen, oder sie können kaum mehr“, berichtet Mag. Silvia Breitwieser, Leiterin der Telefonseelsorge OÖ.
Hilfe vermitteln
Als erste Hilfe können Sie Ihren Patienten durch Zuhören, Einfühlungsvermögen und direktes Ansprechen der Suizidgedanken Unterstützung leisten. Oft wird es notwendig sein, weitere, fachspezifische Hilfe zu vermitteln. Besprechen Sie die Notwendigkeit dieser Unterstützung mit den Betroffenen. Denken Sie auch daran, dass Sie verpflichtet sind, Menschen bei Gefahr Hilfe zu leisten.
Für unmittelbar Betroffene stehen in unserem Bundesland OÖ vor allem die Krisenhilfe OÖ, 0732 2177, und die Telefonseelsorge 142 zur Verfügung. Die Kliniken und psychiatrischen Ambulanzen sind vor allem dann relevant, wenn es um eine stationäre Aufnahme geht. Kontaktinformationen zu Einrichtungen, die sowohl Betroffenen als auch Angehörigen und anderen Helfern im Akutfall Hilfe und Beratung anbieten, finden Sie unter Krisentelefone und Notrufnummern. Anlaufstellen zum Thema finden Sie auch unter Kriseneinrichtungen und psychosoziale Hilfsangebote.
SUPRA-OÖ
ist als Plattform zur Vernetzung von Einrichtungen in OÖ und auch als Anlaufstelle für Firmen, Institutionen etc., die zur Suizidprävention ein Anliegen haben, tätig.
Kontakt: Mag. Silvia Breitwieser, silvia.breitwieser@dioezese-linz.at, Tel.: 0676/87763522
QUELLEN:
• Suizidbericht 2023 des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK),
• https://goeg.at/Koordinationsstelle_SUPRA
• https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention/angehoerige/erste-hilfe-leisten.html
FotoS: zvg, istockphoto/ Apple Zoo mZoom