Endokrinologische Nebenwirkungen
Moderne Krebsbehandlungen wie Immuntherapien und zielgerichtete Therapien sind ein wichtiger Fortschritt in der Behandlung von Tumoren und können die Überlebenschancen erheblich verbessern. Allerdings lösen sie mitunter schwere Nebenwirkungen aus.
Endokrine Störungen treten häufig auf, in seltenen Fällen sind sie irreversibel und lebensbedrohlich. Mit der zunehmenden Anwendung moderner Krebstherapien braucht es mehr Bewusstsein für das Auftreten und die Früherkennung ernsthafter Nebenwirkungen sowie eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Onkologen und anderen Fachärzten. Darauf wies die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) kürzlich hin. Bei der Immuntherapie kommt eine bestimmte Klasse von Antikörpern zum Einsatz, die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren. Aktuell werden sie unter anderem bei der Behandlung des nichtkleinzelligen Bronchial-, Nierenzell- und Blasenkarzinoms oder des Hodgkin-Lymphoms eingesetzt. Sie aktivieren das körpereigene Immunsystem, damit dieses die Tumorzellen besser bekämpfen kann. Doch dieser Mechanismus birgt Risiken: Das hochgefahrene Immunsystem kann sich gegen den eigenen Körper richten und autoimmune Nebenwirkungen zur Folge haben.
Autoimmune Nebenwirkungen
„Aktuelle Auswertungen zeigen, dass 86 bis 96 % der Patienten, die eine Immuntherapie zur Krebsbehandlung erhalten, autoimmune Nebenwirkungen von unterschiedlichem Schweregrad entwickeln“, sagt Priv.-Doz. Dr. med. Dr. jur. Birgit Harbeck, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) sowie Sprecherin der DGE. Besonders häufig treten Immunreaktionen an der Haut und im gastrointestinalen Bereich auf. Zu den endokrinen unerwünschten Ereignissen gehören unter anderem das Neuauftreten einer Schilddrüsenentzündung (bis zu 20 %), die Entzündung der Hirnanhangdrüse (bis zu 17 %) und selten ein neu auftretender Diabetes Typ 1 (1–2 %). Diese Komplikationen können das Leben der Patienten erheblich beeinträchtigen und in seltenen Fällen sogar irreversible und lebensbedrohliche Folgeschäden wie eine Nebenniereninsuffizienz nach sich ziehen. Das Risiko für Letzteres steigt bei Kombination mehrerer Checkpoint-Inhibitoren.
Eine weitere neuere Behandlungsoption bei Krebs sind Therapien, die sich präzise gegen bestimmte Eigenschaften von Tumorzellen richten. Hierbei kommen sogenannte Tyrokinase-Inhibitoren zum Einsatz. „Mit dem vermehrten Einsatz dieser Therapien sehen wir auch hier immer häufiger endokrinologische Nebenwirkungen wie etwa Störungen des Glukosestoffwechsels oder Schilddrüsenunterfunktionen. Bildet sich unter der Therapie mit Tyrokinase-Hemmern ein Diabetes mellitus aus, kann er einen schweren und mitunter sogar tödlichen Verlauf nehmen“, warnt Harbeck.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend
„Nebenwirkungen infolge der Anwendung von Checkpoint- und Tyrokinase-Hemmern treten meist in den ersten Wochen oder Monaten nach Beginn der Therapie auf“, erläutert Harbeck. „Symptome wie starke Müdigkeit oder vermehrter Durst und Wasserlassen können beispielsweise Anzeichen für eine Nebenniereninsuffizienz oder einen entgleisten Diabetes mellitus sein, die unmittelbar behandelt werden sollen.“ Patienten müssen über die Symptome ernsthafter Nebenwirkungen, die bei ihrer jeweiligen Erkrankung und Therapieart auftreten könnten, sowie über die notwendige frühzeitige Abklärung gut aufgeklärt werden. „Zudem ist eine engmaschige Überwachung durch regelmäßige laborchemische Screening-Untersuchungen unerlässlich“, betont Harbeck und ergänzt: „Moderne Krebstherapien haben die Prognose vieler Krebsarten erfreulicherweise deutlich verbessert. Um die optimale Versorgung sicherzustellen und schwere Begleiterscheinung möglichst frühzeitig in den Griff zu bekommen, ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachärzten, etwa der Endokrinologie, jedoch essenziell“, so Harbeck.
rh
LITERATUR:
• Heinzerling L, de Toni E, Schett G, Hundorfean G, Zimmer L: Checkpoint inhibitors—the diagnosis and treatment of side effects. Dtsch Arztebl Int 2019;116: 119–26
• Vardarli L, Tan S, Brandenburg T, Weidemann F, Görges R, Herrmann K, Führer D. Risk and Incidence of Endocrine Immune-related Adverse Effects Under Checkpoint Inhibitor Mono- or Combination Therapy in Solid Tumors: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. J Clin Endocrinol Metab 2024;109:1132–1144
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