Digitale Gesundheitsanwendungen: Was kommt auf Ärzte zu?
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) gelten als ein wichtiger Baustein der zukünftigen Versorgung. In Deutschland bereits erstattungsfähig, stehen sie in Österreich erst vor dem Start.
AUTOR: DI (FH) Dr. med. Franz Leisch
Mediziner, Informatiker, Berater zur Umsetzung des European Health Data Space (EHDS) und zur digitalen Transformation des Gesundheitswesens,
www.ehds.at
Digitale Gesundheitsanwendungen sind Medizinprodukte niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht. Sie dienen der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder der Kompensierung von Beeinträchtigungen. Damit unterscheiden sie sich klar von Lifestyle- oder Fitness-Apps.
DiGAs sind medizinische Software – sogenannte „Software as a Medical Device“ – und unterliegen denselben Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit wie andere Medizinprodukte. In Deutschland können Ärzte seit 2019 DiGAs verordnen, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. In Österreich hingegen wird das Thema derzeit in einem Pilotprojekt von AGES, GÖG und der Sozialversicherung vorbereitet. Ziel ist es, eine geregelte Erstattung und Verschreibungsmöglichkeit zu schaffen.
Neue Rolle für Ärzte
Mit der Einführung digitaler Gesundheitsanwendungen erweitert sich der ärztliche Behandlungsprozess um eine digitale Komponente. Ärzte stellen die Indikation und beurteilen, ob ein Patient für eine Anwendung geeignet ist. Damit bleibt die medizinische Verantwortung klar beim Arzt.
In ihrer Funktion ähneln DiGAs anderen Medizinprodukten, etwa Heilbehelfen oder Therapiegeräten. Der Unterschied liegt in der Vertriebsform: Patienten müssen nicht mehr zu einem Bandagisten oder in die Apotheke, sondern laden die App aus dem Store herunter und aktivieren sie mit einem Freischaltcode, den sie nach ärztlicher Verordnung erhalten. So entstehen keine zusätzlichen administrativen Aufgaben – das therapeutische Spektrum wird um eine digitale Option erweitert, die sich nahtlos in die Versorgung integrieren lässt.
Erfahrungen aus Deutschland
Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) bildet in Deutschland die Grundlage dafür, dass DiGAs („Apps auf Rezept“) Teil der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt das DiGA-Verzeichnis und prüft neue Anwendungen im Fast-Track-Verfahren: Innerhalb von drei Monaten werden Datenschutz, Funktionstauglichkeit, Qualität und ein nachgewiesener „positiver Versorgungseffekt“ bewertet. Der Schwerpunkt der gelisteten Anwendungen liegt auf psychischen Erkrankungen, muskuloskelettalen Beschwerden, Adipositas sowie Schmerz- und Schlafstörungen – also auf Indikationen, in denen digitale Selbstmanagement- und Verhaltenstherapieprogramme besonders wirksam sind.
GKV-DiGA-Bericht 2024
Laut dem DiGA-Bericht 2024 des GKV-Spitzenverbands waren bis Ende 2024 68 Anwendungen im BfArM-Verzeichnis gelistet, davon 41 vorläufig und 27 dauerhaft aufgenommen. Zwischen September 2020 und Dezember 2024 wurden insgesamt 861.000 Freischaltcodes eingelöst – das entspricht ebenso vielen verordneten oder genehmigten Nutzungen. Rund 87 % der Anwendungen wurden von Ärzten oder Psychotherapeuten verordnet, 13 % über Eigenanträge genehmigt. Der durchschnittliche Herstellerpreis lag 2024 bei etwa 460 Euro pro 90 Tage, mit Spannen zwischen 119 und 2.000 Euro. Der Gesamtumsatz der Krankenkassen belief sich auf rund 225 Millionen Euro, ein Anstieg um 55 % gegenüber dem Vorjahr. Auffällig: Fünf Anwendungen machten fast die Hälfte aller Einlösungen aus – der Markt konzentriert sich also auf wenige Indikationen.
Beispiele aus der Praxis
Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen ist ProHerz, die derzeit einzige erstattungsfähige DiGA für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Die App unterstützt Betroffene bei der täglichen Erfassung von Vitalparametern, erinnert an Medikamenteneinnahmen und gibt individuelle Handlungsempfehlungen. Ärzte behalten die medizinische Steuerung, während die Anwendung Nachsorge und Kommunikation verbessert und Wiedereinweisungen ins Krankenhaus reduzieren kann. Neben der breiten Nutzung in Deutschland laufen bereits erste Pilotprojekte in Österreich.
Eine neue, vielversprechende Anwendung ist Cogthera, eine digitale Trainingsplattform für Menschen mit Mild Cognitive Impairment und leichter Demenz. Sie basiert auf einem Meta-Memory-Ansatz, der Gedächtnisfunktionen gezielt stimuliert und kognitive Fähigkeiten sowie Alltagskompetenzen länger erhält. Durch einfache Bedienung und große Schrift ist sie speziell für ältere Menschen konzipiert. Erste Studien zeigen positive Effekte auf Gedächtnisleistung und Lebensqualität; eine Erstattung in Deutschland ist ab Ende 2025 vorgesehen.
Der österreichische Weg zur Erstattung
Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) empfiehlt für Österreich ein stufenweises Bewertungsverfahren, das auf europäischen Standards basiert: Zunächst CE-Kennzeichnung und Risikoklassifizierung, anschließend Abgleich der klinischen Evidenz. Ergänzend sollen Kosten-Nutzen-Analysen und Versorgungseffizienz berücksichtigt werden, um Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten.
Die eHealth-Strategie Österreich 2024 definiert DiGAs als Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Ein Pilotprojekt legt derzeit Kriterien für Sicherheit, Datenschutz, Interoperabilität (ELGA) und medizinischen Nutzen fest. Ab 2027 sollen die ersten Anwendungen auch in Österreich erstattungsfähig sein – ein Schritt zu einer patientenzentrierten, digital gestützten Versorgung.
Digitale Gesundheitsanwendungen werden den ärztlichen Alltag verändern.
Blick nach vorn: DiGAs im European Health Data Space
Mit dem European Health Data Space entsteht bis Ende des Jahrzehnts ein europaweit einheitlicher Rahmen für den Austausch von Gesundheitsdaten. Für Österreich bedeutet das, dass künftig auch digitale Gesundheitsanwendungen an die elektronische Gesundheitsakte ELGA angebunden werden müssen. DiGAs müssen dann über standardisierte Schnittstellen ihre Daten – etwa zu Vitalparametern, Therapieverläufen oder Nutzungsergebnissen – sicher und interoperabel mit ELGA austauschen können.
Digitale Gesundheitsanwendungen werden den ärztlichen Alltag verändern – nicht durch mehr Bürokratie, sondern durch neue Möglichkeiten, Patienten gezielt, kontinuierlich und evidenzbasiert zu begleiten. Sie erweitern das therapeutische Instrumentarium und können, richtig eingesetzt, wesentlich zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und zur besseren Versorgung chronisch Kranker beitragen.
QUELLEN: • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA), www.diga.bfarm.de • GKV-Spitzenverband: DiGA-Bericht 2024 – Erfahrungen mit digitalen Gesundheitsanwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, Berlin 2024. • ProHerz – Digitale Gesundheitsanwendung bei Herzinsuffizienz, www.procarement.com/proherz • Cogthera – Digitales kognitives Training bei Demenz, www.cogthera.de • Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA): Nutzenbewertung von digitalen Gesundheitsanwendungen (HTA-Projektbericht Nr. 134, Wien 2024). • Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: eHealth-Strategie Österreich 2024. • Regulation (EU) 2025/327 vom 5. März 2025 über den European Health Data Space (EHDS)
FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/ TADAMICHI