Jugendliche unter Druck

 

Psychische Gesundheit darf kein Privileg sein – sie ist ein Menschenrecht und die Grundlage dafür, dass junge Menschen ihr Leben mit Zuversicht und Selbstvertrauen gestalten können. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen jetzt ein starkes Netz an Unterstützung. 


AUTORIN: Ao. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP)
www.boep.or.at


Aktuelle Daten und Entwicklungen sprechen eine deutliche Sprache: Die psychische Gesundheit junger Menschen steht unter wachsendem Druck. Ein Viertel der 15- bis 16-jährigen Schüler in Österreich berichtet über ein niedriges Wohlbefinden, jeder Zehnte zeigt Hinweise auf starke psychische Belastungen. Besonders alarmierend: Mädchen sind überdurchschnittlich häufig betroffen – insbesondere im Hinblick auf Selbstwertprobleme, Körperbildthemen und sozialen Vergleich in digitalen Medien. Jüngste Studien zur Lebensrealität von Jugendlichen in Österreich zeigen ein besorgniserregendes Bild: Der Konsum psychoaktiver Substanzen wie Cannabis und Alkohol bleibt auf hohem Niveau, während sich das Konsumverhalten zunehmend in digitale Bereiche verlagert. Exzessive Bildschirmzeiten, problematische Social-Media-Nutzung und die vermehrte Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln – teils ohne ärztliche Verordnung – verweisen auf eine tiefgreifende Belastungslage und einen besorgniserregenden Wandel im Risikoverhalten.

Jugendliche brauchen Orientierung

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig: Leistungsdruck im Bildungssystem, soziale Unsicherheiten, problematische Familienverhältnisse, gesellschaftliche Krisen sowie eine ständige digitale Verfügbarkeit wirken kumulativ belastend auf junge Menschen. Die Corona-Pandemie hat diese Dynamiken beschleunigt und verstärkt – viele Jugendliche haben seither Schwierigkeiten emotionale Stabilität, Motivation oder Alltagsstruktur wiederzufinden.

Besonders der Einfluss von Social Media ist in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen: Permanente Vergleichsmöglichkeiten, Likes als Währung für Selbstwert, Cybermobbing sowie das Suchtpotenzial sozialer Plattformen führen bei vielen Jugendlichen zu einer chronischen psychischen Überforderung. Der unreflektierte Umgang mit digitalen Medien birgt reale Gefahren – von emotionaler Abhängigkeit bis hin zu depressiven Symptomen und sozialem Rückzug.

In diesem komplexen Gemengelage braucht es frühzeitige, niederschwellige und fachlich qualifizierte Unterstützung – dort, wo Kinder und Jugendliche tagtäglich sind: in der Schule.

 

Eine ständige digitale Verfügbarkeit wirkt kumulativ belastend auf junge Menschen.

 

Schulpsychologie ausbauen

Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) betont mit Nachdruck: Schulpsychologie ist keine Randdisziplin – sie ist ein essenzieller Teil eines funktionierenden Bildungs- und Gesundheitssystems. Schulpsychologen sind oft die ersten Fachpersonen, die Belastungen erkennen, emotionale Krisen auffangen und Schüler, Lehrkräfte sowie Eltern professionell begleiten. Ihr Handlungsfeld reicht von akuter Krisenintervention über langfristige Beratung und Gutachtentätigkeit bis zur Mitgestaltung von Schulentwicklungsprozessen und Gesundheitsförderung.

Gerade jetzt ist es entscheidend, auf die Bedeutung der Schulpsychologie hinzuweisen. Wir brauchen einen flächendeckenden Ausbau dieser wichtigen Unterstützung – um langfristige psychische Erkrankungen zu verhindern und jungen Menschen frühzeitig Halt zu geben.


Neue Risiken erfordern neue Präventionsstrategien

Klassische Suchtprävention greift heute zu kurz. Der zunehmende Missbrauch von E-Zigaretten und Nikotinbeuteln, die emotionale Abhängigkeit von Social Media oder der Rückzug in digitale Parallelwelten stellen neue Herausforderungen dar, die psychologische Expertise auf allen Ebenen erfordern. Psychische Belastungen manifestieren sich heute häufig nicht mehr lautstark, sondern leise – in innerem Rückzug, Schlafstörungen, Reizbarkeit oder sozialem Druck. Umso wichtiger ist es, dass diese Signale erkannt und ernst genommen werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Initiative des Bundesministeriums für Bildung, ein Handyverbot an Schulen einzuführen, ein wichtiger und begrüßenswerter Schritt. Sie setzt ein klares Zeichen für mehr Konzentration, soziale Interaktion und psychische Entlastung im Schulalltag. Eine solche Maßnahme kann dabei helfen, dem medialen Dauerstress entgegenzuwirken und Räume für echte Kommunikation und Achtsamkeit zu schaffen.


Psychologische Versorgung stärken 

Als Präsidentin des BÖP appelliere ich an die Politik, Bildungsträger und Entscheidungsträger im Gesundheitsbereich: Es braucht dringend eine bundesweit einheitliche, langfristig gesicherte und bedarfsgerechte Ausweitung schulpsychologischer Angebote. Jeder Schüler muss die Möglichkeit haben, sich bei psychischen Belastungen an einen Schulpsychologen wenden zu können – genauso selbstverständlich wie bei körperlichen Beschwerden an einen Schularzt.

Darüber hinaus sind klinisch-psychologische und gesundheitspsychologische Angebote auszubauen – nicht nur im Bereich der Behandlung, sondern insbesondere auch in der Prävention, Ressourcenstärkung und Entwicklung von Lebenskompetenzen. Die Förderung psychischer Resilienz, der kritische Umgang mit Medien und Konsummustern sowie die enge Zusammenarbeit mit Pädagogen und medizinischen Fachkräften sind zentrale Bausteine zukunftsorientierter Gesundheitsarbeit.


Zeit zu handeln

Psychische Gesundheit darf nicht dem Zufall überlassen bleiben. Die aktuelle Situation zeigt: Wir stehen an einem Wendepunkt. Investitionen in die psychische Gesundheit junger Menschen sind Investitionen in unsere Zukunft.


fotoS: inge prader, istockphoto/ Georgijevic
Zurück
Zurück

Wenn Liebeskummer krank macht

Weiter
Weiter

ADHS bei Erwachsenen