Wenn Liebeskummer krank macht

 

Liebeskummer betrifft nicht nur Teenager. Wenn die Kränkung zur Krankheit wird, welche Auswirkungen Liebe und Liebeskummer haben kann und wie die Behandlungsmethoden aussehen können.


AUTORIN:
Mag. Birgit Maurer, MSc
 
Klinische, Gesundheits- und Arbeitspsychologin, Psycho-therapeutin,
b.maurer@liebeskummerpraxis.at,
www.liebeskummerpraxis.at


Fast jeder Mensch ist mit dem Suchen, Finden, Bewahren und Verlieren der Liebe beschäftigt und leidet ein- oder mehrmals in seinem Leben am Kummer mit der Liebe. Ein emotionaler Ausnahmezustand, der Trauer, Verzweiflung, Angst, aber auch Wut, Hass und Krankheiten auslösen kann.

Betroffen sind Menschen aller Altersgruppen, alle Geschlechter, hetero-, homo- und transsexuelle Menschen. Trotzdem ist dieses Thema häufig immer noch schambehaftet und wird oft als Teenager-Krankheit belächelt. Neben Scheidungen und Trennungen kann der Kummer mit der Liebe auch in Familien- oder Freundschaftssystemen auftreten. Ein Todesfall eines geliebten Menschen, ein massiver Konflikt in der Familie oder Freundschaft, Verlust der besten Freundin, Streit und Kontaktabbruch zu Familienmitgliedern, Krankheit einer engen Bezugsperson können das Herz erschüttern oder brechen.

Liebeskummer setzt ein Stress­programm für Körper, Geist und Seele in Gang und kann zu psychosomatischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Magen- und Darmbeschwerden, Schmerzen des Bewegungsapparates, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Problemen führen. Aber auch die Vernachlässigung von Berufs- und Alltagspflichten, die Lustlosigkeit in allen Lebensbereichen bis hin zur Veränderung des sozialen Kontaktes können die Folge von Liebeskummer sein. Häufig führt der Kummer mit der Liebe zu Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch und in besonders schweren Fällen kann es bis zu suizidalen Gedanken oder Handlungen kommen.

Sonnen- und Schattenseiten

Der Chemiker Peter Godfrey von der Monash Universität in Melbourne macht für den Zustand der Verliebtheit die chemische Substanz Phenylethylamin (PEA) verantwortlich. Er untersuchte frisch verliebte Studierende und diese zeigten einen erhöhten PEA-Wert im Blut auf. Auch verschiedene andere Neurotransmitter wie Dopamin, Noradrenalin und Oxytocin sind in der Verliebtheitsphase für den kritiklosen Verschmelzungszustand – die „rosarote Brille“ – verantwortlich.

Beim Verliebtheitszustand normalisiert sich nach ungefähr zwölf bis 18 Monaten die Hormonausschüttung und die Schmetterlinge im Bauch beruhigen sich. Die rosa Brille wird klarer und die Unterschiede, die vorher mit Unterstützung der Neurotransmitter ausge­bl­endet wurden, werden deutlicher. Die Illusion der Verliebtheit weicht, und die Liebe und Verbundenheit können sich vertiefen, oder es kommt zur Trennung.

Unabhängig von der Dauer der Verbindung kann eine Zurückweisung, eine Kränkung oder der Verlust eines geliebten Menschen zu einer existenziellen Krise führen. Je länger eine Verbindung andauert, desto höher das Maß an Verflechtung, mehr Gewohnheiten, Rituale und Gemeinsamkeiten haben sich eingebürgert. Wird so eine Verbindung von einem Moment auf den anderen beendet, kann das bei Menschen einen Schock auslösen, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht, aus der Bahn wirft und das Herz „aussetzen“ und in vielen Fällen zerbrechen lässt.

Broken-Heart-Syndrom

Wenn das Herz „bricht“, kann es zum Broken-Heart-Syndrom kommen. Die Bezeichnung leitet sich aus dem japanischen „Tako Tsubo“ ab und wurde 1991 erstmals beschrieben. Dieser Begriff bezieht sich auf die linke Herzkammer, die sich vergrößert und nach oben hin verengt sein kann und an die Form einer „Tintenfischfalle“ erinnert. Bislang gibt es noch zu wenig Daten über die Häufigkeit der Erkrankung. Frauen sind jedoch häufiger betroffen als Männer.

Die Wissenschaft spricht von einer Stress-Kardiomyopathie, die eine schwerwiegende, akut einsetzende Funktionsstörung des Herzmuskels darstellt. Die Konzentration der Stresshormone im Blut kann bei den meisten Patienten erhöht sein. Bei den Stresshormonen handelt es sich insbesondere um körpereigene Katecholamine, wie Adrenalin und Noradrenalin. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarktes mit Schmerzen in der Brust, Atemnot und Schweißausbrüchen. Das Broken-Heart-Syndrom ist eine ernstzunehmende Herzmuskelerkrankung, die bei akuten Beschwerden unbedingt abgeklärt werden muss. Meist ist die Prognose günstig und die Erkrankung in den meisten Fällen reversibel. Die Beschwerden klingen üblicherweise innerhalb weniger Wochen ab, und die Herzfunktion normalisiert sich wieder.

Der Kummer, der nicht spricht, nagt so lange am Herzen, bis es bricht.
— William Shakespeare

Diagnosen und Therapie

Beim Liebeskummer handelt es sich um ein Irritations- und Destabilisierungsphänomen, das nicht automatisch zu einer psychischen Diagnose führen muss. Führt die Irritation zu einer nachhaltigen Sinnkrise oder zu einer starken Beeinträchtigung im persönlichen, sozialen oder beruflichen Bereich, und verfügt der Betroffene über keine adäquate Stabilisierungsstrategie, geraten die Säulen der Identität meist stark ins Wanken. Solche Krisensituationen können auch auf bereits vorhandene psychische Beeinträchtigungen diagnoseverstärkend wirken. Im Zusammenhang mit Liebeskummer könnten folgende psychische Diagnosen in Anlehnung an die ICD-10 zum Tragen kommen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit: F43.0 akute Belastungsreaktion, F43.2 Anpassungsstörungen, F32 depressive Episoden, F41.0 Panikstörung oder F48.0 Neurasthenie.

Der erste Weg der Betroffenen führt meist zum Hausarzt, der oft eine medikamentöse Behandlung einleitet. Als Grund für den Medikamentenbedarf geben die Patienten häufig Überarbeitung, Erschöpfung, Depression und Schlafstörungen an. Ihren Liebeskummer als wahren Grund ihres Unwohlseins verschweigen sie jedoch oft aus Schamgefühl. Erfahrungsgemäß ist es bei diesen Patienten hilfreich, Liebeskummer in die Anamnese aufzunehmen, um eine nachhaltige Linderung ihrer Symptome zu ermöglichen und die Chronifizierung ihrer Leiden zu vermeiden. Aus psychotherapeutischer Sicht sollte diesen Patienten auch eine Psychotherapie – zusätzlich zur Psychopharmakotherapie – empfohlen werden.

In der psychotherapeutischen bzw. klinisch-psychologischen Behandlung ist eine Unterscheidung zwischen akuter Phase und einem chronischen Verlauf von Liebeskummer zu beachten. In der akuten Phase, nach einer Trennung oder einem Todesfall, braucht es ein hohes Maß an Stabilisierung, Entlastung und Abklärung, ob suizidale Gedanken und Handlungen gegeben sind. Bei einem chronischen Verlauf, wo der Anlass schon länger zurückliegt, gilt es, die verletzende Situation zu befrieden und die Neuorientierung zu gestalten.

Der Kummer mit der Liebe ist ein Trauerprozess, der wellenförmig verläuft, das heißt, negative und positive Stimmungsphasen wechseln einander in unterschiedlicher Frequenz ab. Dieser Prozess braucht viel Zeit, Zuwendung, (Selbst-)Fürsorge, Trost und häufig eine interdisziplinäre Begleitung – jedenfalls die Akzeptanz der Situation durch den Betroffenen. Aus psychologischer und psychotherapeutischer Sicht eignen sich Einzel- und Gruppentherapien, in denen der Leidenszustand besprochen werden kann, z. B. verschiedene Methoden wie Entspannungstechniken, Körperarbeit, Traumatherapie, systemische Familientherapie, Arbeit an der Identität oder Coping-Strategien.


FotoS: zvg, istockphoto/ Cemile Bingol
Zurück
Zurück

Miteinander Auszeit nehmen

Weiter
Weiter

Jugendliche unter Druck