Schockdiagnostik: Point-of-Care-Ultraschall
Mit hoher Sensitivität und Spezifität lassen sich obstruktive, kardiogene, hypovolämische und distributive Schockformen differenzieren – schnell, sicher und direkt am Patientenbett.
Für die Akut- und Intensivmedizin bedeutet dies einen deutlichen Fortschritt. Entscheidend sind jedoch die konsequente Ausbildung von Ärzten sowie die Standardisierung der Protokolle. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die hohen diagnostischen Qualitäten aus den Studien auch in der klinischen Realität erreicht werden. Kreislaufversagen zählt zu den kritischsten Situationen in der Akutmedizin. Innerhalb weniger Minuten kann sich der Zustand von Patienten dramatisch verschlechtern, daher ist eine rasche und sichere Diagnostik von zentraler Bedeutung. Nur wenn die Ursache des Schocks frühzeitig erkannt wird, lässt sich eine gezielte, potenziell lebensrettende Therapie einleiten. Der Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) hat sich hier in den letzten Jahren zu einem Schlüsselinstrument entwickelt, wie eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Yoshida et al. zeigt (Critical Care, 2023).
Schocktypen: differenzieren, um gezielt zu therapieren Medizinisch wird Schock als ein Zustand definiert, in dem die Gewebeperfusion nicht mehr ausreicht, um den Stoffwechselbedarf zu decken. Die Folgen sind Hypoxie, metabolische Azidose und, wenn unbehandelt, Multiorganversagen. Unterschieden werden vier Hauptformen:
Obstruktiver Schock: Hier ist der Blutfluss mechanisch behindert, etwa durch eine Lungenembolie, einen Spannungspneumothorax oder eine Herzbeuteltamponade. Therapieentscheidend ist die schnelle Identifizierung und Beseitigung der Obstruktion.
Kardiogener Schock: Typischerweise ausgelöst durch einen akuten Myokardinfarkt oder eine schwere Herzinsuffizienz. Hier steht die Wiederherstellung der Herzpumpfunktion im Vordergrund, etwa durch Revaskularisation oder medikamentöse Unterstützung.
Hypovolämischer Schock: Entsteht durch akuten Blut- oder Flüssigkeitsverlust, beispielsweise nach Trauma, gastrointestinalen Blutungen oder schweren Dehydratationen. Entscheidend sind rasche Volumengabe und Kontrolle der Blutungsquelle.
Distributiver Schock: Typischerweise bei Sepsis, seltener bei Anaphylaxie oder neurogener Ursache. Die pathophysiologische Fehlverteilung des zirkulierenden Blutvolumens erfordert ein ganz anderes therapeutisches Vorgehen mit Vasopressoren und antiinfektiven Strategien.
Die Differenzierung ist klinisch häufig schwierig, da Symptome wie Hypotonie, Tachykardie oder Bewusstseinsstörungen bei allen Schockformen auftreten können. Laborparameter und Bildgebung helfen, doch gerade in der Akutsituation ist ein Verfahren gefragt, das schnell, sicher und direkt am Patientenbett einsetzbar ist.
Hohe diagnostische Treffsicherheit
POCUS erlaubt die unmittelbare Untersuchung von Herz, Lunge und großen Gefäßen in standardisierten Ansichten. Neben der Darstellung der Ventrikelgrößen und -funktionen können Ergüsse, Flüssigkeitsansammlungen oder Zeichen einer Rechtsherzbelastung erkannt werden. Die Metaanalyse von Yoshida und Kollegen zeigt erstmals mit hoher Evidenz, wie zuverlässig POCUS tatsächlich ist. In die Auswertung gingen zwölf Studien mit 1.132 Patienten ein. Für den obstruktiven Schock ergab sich eine Sensitivität von 82 % und eine Spezifität von 98 %, für den hypovolämischen Schock eine Sensitivität von 90 % und eine Spezifität von 92 %. Auch kardiogener und distributiver Schock konnten mit hoher Genauigkeit diagnostiziert werden, mit Sensitivitäten um 78 bis 79 % und Spezifitäten um 96 %. Die Fläche unter der ROC-Kurve (AUC) lag für alle Schockformen bei rund 0,95. Bemerkenswert ist die besonders hohe positive Likelihood-Ratio für den obstruktiven Schock (40), die bedeutet, dass ein positiver Ultraschallbefund die Wahrscheinlichkeit für diese Diagnose um ein Vielfaches erhöht.
Zeit ist entscheidend
Gerade beim obstruktiven Schock kann der Zeitfaktor über Leben und Tod entscheiden. Ein Spannungspneumothorax, der im Ultraschall sofort sichtbar wird, erfordert eine unmittelbare Entlastung. Ähnliches gilt für die Perikardtamponade, bei der das rechtzeitige Erkennen und Entlasten die Prognose drastisch verbessert. Bei einem hypovolämischen Schock erlaubt der Ultraschall die Beurteilung des Füllungszustandes der Ventrikel sowie der Vena cava inferior. So lässt sich die Indikation zur Volumengabe präziser stellen. Beim distributiven Schock können typische Befunde wie eine hyperdynamische Kontraktilität Hinweise geben, während beim kardiogenen Schock Wandbewegungsstörungen und reduzierte Pumpfunktion wegweisend sind.
Folgerungen in der Praxis
Die Ergebnisse der Metaanalyse haben unmittelbare Relevanz für die Praxis. POCUS sollte in Notaufnahmen, Intensivstationen und prähospitalen Settings als Standardinstrument verfügbar sein. Um das volle Potenzial zu nutzen, ist jedoch eine flächendeckende Schulung von Ärzten erforderlich. Der Vorteil liegt nicht nur in der Schnelligkeit und Genauigkeit der Diagnostik, sondern auch in der Möglichkeit, therapeutische Maßnahmen in Echtzeit zu überprüfen. So können etwa die Effekte von Vasopressoren, Volumengaben oder invasiven Eingriffen direkt sichtbar gemacht werden. Dies trägt dazu bei, die Therapie noch stärker zu personalisieren und Risiken zu minimieren. Darüber hinaus könnte die breitere Implementierung von POCUS die Ressourcennutzung im Gesundheitssystem verbessern, indem unnötige Transporte, CT- oder MRT-Untersuchungen reduziert werden. POCUS ist damit mehr als ein Trend – er ist auf dem Weg, sich als unverzichtbarer Bestandteil der modernen Notfall- und Intensivmedizin zu etablieren.
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QUELLE: Yoshida T, Yoshida T, Noma H, Nomura T, Suzuki A, Mihara T. Diagnostic accuracy of point-of-care ultrasound for shock: a systematic review and meta-analysis. Crit Care. 2023 May 25;27(1):200. doi: 10.1186/s13054-023-04495-6. PMID: 37231510; PMCID: PMC10214599.
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