Telemedizin: Herausforderungen und Perspektiven
Telemedizin ist spätestens seit der Covid-19-Pandemie fixer Bestandteil des österreichischen Gesundheitswesens. Einheitliche klare Rahmenbedingungen gibt es jedoch bislang weder im berufsrechtlichen noch im kassenrechtlichen Sinn.
AUTOR:
Dr. Dominik Engel, LL.M, BSc.
Rechtsanwalt, Wolf Theiss,
dominik.engel@wolftheiss.com
Seit dem Jahr 2024 ist es vielen gesundheitlichen Berufsträgern explizit erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen Patienten ohne physischen Kontakt zu behandeln. Aber nicht alle Gesundheitsberufsgruppen profitieren gleichermaßen. Dazu kommt, dass ein einheitliches Regime für die Abrechnung mit den Krankenkassen weitgehend fehlt.
Telemedizin im Aufwind
Schon viele Jahre vor Beginn der Covid-19-Pandemie gab es in Österreich auf politischer Ebene Bestrebungen, medizinische Prozesse, die ohne physische Anwesenheit des Patienten auskommen, zu etablieren. Durch die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen zur Vermeidung physischer Kontakte wurden die gesetzliche Verankerung und die sozialversicherungsrechtliche Anerkennung telemedizinischer Anwendungen vorangetrieben. Dabei etablierten sich insbesondere Behandlungen ohne physische Anwesenheit, vor allem für Krankschreibungen, elektronische Medikamentenveschreibungen via ELGA sowie die telefonische Erstberatung von Bund und Ländern durch Gesundheits- und Krankenpfleger („1450“).
Dies ist freilich nicht nur ein österreichisches Phänomen, sondern in vielen Ländern rund um die Welt zu beobachten. Auch die World Health Organization (WHO) fördert international die Entwicklung telemedizinischer Anwendungen und dafür geeigneter nationaler Rahmenbedingungen. Zu weiteren Anwendungsmöglichkeiten von Telemedizin, die mittlerweile politische Beachtung finden, zählen etwa Telekonferenzen und -konsultationen, Telechirurgie, Teleradiologie sowie Telepathologie.
Berufsrechtliche Rahmenbedingungen
Telemedizin ist in Österreich nicht durch ein einheitliches Gesetz geregelt, sondern ergibt sich aus einer Vielzahl an berufs- und sozialversicherungsrechtlichen Normen. Dabei dürfen nicht alle Gesundheitsberufe Telemedizin in gleicher Weise nutzen. Während viele gesundheitliche Berufsgruppen mittlerweile weitreichende Spielräume haben, bestehen für manche Berufsgruppen nach wie vor Unsicherheiten hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit.
Für Ärzte ist § 49 ÄrzteG zentral, der seit Inkrafttreten einer Novelle am 1.1.2024 im Rahmen des Vereinbarungsumsetzungsgesetzes 2024 ausdrücklich die Anwendung von Telemedizin erlaubt.
Klinische- und Gesundheitspsychologen, Psycho- und Musiktherapeuten profitierten unlängst von einer Gesetzesnovelle und dürfen seit 1.1.2025 ihre Leistungen explizit auch im Rahmen einer Online-Therapie erbringen, wenn es fachlich oder örtlich notwendig ist (§ 32a PlG 2013; § 39 PThG 2024; § 27a MuthG).
Andere gesundheitliche Berufsgruppen unterliegen unterschiedlichen Regelungen. Explizit erlaubt ist Telemedizin bereits etwa für MTD-Berufe. Keine vergleichbare gesetzliche Regelung gibt es für Hebammen, Tierärzte, Freiberufler im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege sowie Heilmasseure.
Zwar war bereits vor den gesetzlichen Verankerungen der Telemedizin die herrschende Meinung, dass Telemedizin nicht verboten ist. Die Tatsache, dass nun einige Berufsgruppen im Gegensatz zu anderen gerade keine Sonderbestimmungen zu Telemedizin erhalten haben, trägt jedoch die Gefahr eines Umkehrschlusses.
Datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen
Die Erbringung telemedizinischer Leistungen erweitert die datenschutzrechtlichen Pflichten und erhöht den Sorgfaltsmaßstab. Datenschutz wird dadurch nicht mehr nur bei der Aufbewahrung von Patientendaten, sondern auch beim Ablauf der Behandlung selbst ein wichtiges Thema.
Neben der DSGVO und dem DSG sind insbesondere auch die Bestimmungen des GTelG 2012 zu beachten. Gemäß § 6 GTelG 2012 ist die Vertraulichkeit bei der elektronischen Übermittlung von Gesundheitsdaten durch die Verwendung gesicherter oder verschlüsselter Kanäle sicherzustellen. Befunde, Bilder und andere relevante Daten dürfen also etwa keinesfalls als ungesicherter E-Mail-Anhang an den Patienten geschickt werden. Demgegenüber liegt es in der Verantwortung der Patienten, wenn diese selbstständig Gesundheitsdaten ungesichert an den Arzt übermitteln. Die Ärztekammer Wien rät aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken im Rahmen der Patientenkommunikation grundsätzlich von der Nutzung von Messenger-Diensten und unverschlüsselten E-Mails ab. Eine Behandlung mittels schriftlicher elektronischer Dienste wird als gänzlich unzulässig erachtet.
Die Plattform, über die telemedizinische Leistungen erbracht werden sollen, ist daher sorgfältig zu wählen und zu verwenden. Für die Österreichische Ärztekammer ist es diesbezüglich essenziell, speziell zertifizierte Softwareprodukte zu verwenden. Derartige Zertifizierungen sind etwa bei Telemed Austria möglich (telemedaustria.at).
Für Vertragsärzte stellen ÖGK, BVAEB und SVS österreichweit die Plattform Visit-e (visit-e.at) kostenlos zur Verfügung. Die Plattform soll sowohl den datenschutzrechtlichen Anforderungen genügen als auch eine strukturierte ärztliche Betreuung via Video ermöglichen.
Entscheidungsgrundlagen: Wann ist Telemedizin sinnvoll?
Für alle Berufsgruppen gilt, dass Telemedizin nur angewendet werden darf, wenn dadurch eine Lege-artis-Behandlung möglich ist. Eine physische Behandlung am Patienten darf nur dann unterbleiben, wenn sie nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft nicht erforderlich ist. Die Entscheidung zur telemedizinischen Behandlung liegt daher in der Verantwortung der Berufsträger.
Ein zentrales Kriterium für die Entscheidung, ob eine telemedizinische Leistung angebracht ist, bildet die medizinische Indikation. Im Rahmen der Indikation muss eine Gefahrenbeherrschung möglich sein, die mit Präsenzbehandlungen vergleichbar ist. Dies erfordert auch, dass der Patient umfassend zur Nutzung telemedizinischer Anwendungen aufgeklärt wurde und dieser mit der Nutzung einverstanden ist.
Bei Zweifel darüber, ob die Wahrnehmungen als Grundlage der medizinischen Entscheidungen ausreichen, sollte über eine zusätzliche Untersuchung vor Ort nachgedacht werden. Bestimmte Patienten können aufgrund ihres Zustands von telemedizinischen Behandlungen ausgeschlossen sein (z. B. bei Demenz). Um diese Kriterien und überhaupt die medizinische Indikation beurteilen zu können, wird es in vielen Fällen notwendig sein, zumindest den Erstkontakt in physischer Anwesenheit durchzuführen.
Die Abrechnung telemedizinischer Leistungen ist in den Gesamtverträgen der ÖGK enthalten: die Honorarhöhe ist gleich wie bei Präsenzleistungen.
Von der Ausnahme zur Regelversorgung
Anlässlich der Covid-19-Pandemie ermöglichten die österreichischen Krankenkassen zunächst temporär die Abrechnung telemedizinischer Leistungen von Ärzten. Bis heute ist dies jedoch nicht einheitlich klar geregelt. Vielfach wird nach wie vor auf zeitlich befristete Übergangslösungen zurückgegriffen. Die permanente Verankerung der Abrechnung in den Gesamtverträgen wird aber sowohl von den Ärztekammern als auch von den Kassen zumindest angestrebt.
Ausdrücklich verankert ist die Abrechnung telemedizinischer Leistungen bereits in den Gesamtverträgen der ÖGK. Demnach können Leistungen von Allgemeinmedizinern und vielen Fachärzten in gleicher Honorarhöhe abgerechnet werden wie die Erbringung von Präsenzleistungen. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass der Patient ausdrücklich eingewilligt hat, die Behandlung nicht nur berufsrechtlich zulässig, sondern auch genauso erfolgsversprechend wie eine persönliche Leistungserbringung ist sowie dass der Patient dem Arzt bereits persönlich bekannt ist. Der Erstkontakt hat also grundsätzlich in Anwesenheit zu erfolgen (Ausnahmen gibt es etwa für Vertretungsärzte). Verrechenbar sind in diesem Rahmen nur jene Leistungen, deren Dauer und Inhalt vergleichbar mit einer persönlichen Leistungserbringung in der Ordination sind. Terminvereinbarungen und schriftliche Korrespondenz mit Patienten per E-Mail oder SMS gelten jedenfalls nicht als verrechenbar.
Für andere Berufsgruppen gibt es kaum Regelungen zur Verrechnung telemedizinischer Leistungen. Wenn keine direkte Abrechnung mit den Krankenkassen möglich ist, erfolgt die Erstattung üblicherweise über eine Kostenzuschussregelung. Dabei wird sich die Zulässigkeit telemedizinischer Leistungserbringung an den jeweiligen berufsrechtlichen Bestimmungen zu orientieren haben.
Literatur beim Verfasser
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